James Carlos Blake (c) Maura Anne Wahl 25, wenn nicht gar 40 Tote auf dem Gewissen Nach dem furiosen "Das Böse im Blut" wagt der Verlag Liebeskind sich nun an die deutsche Erstveröffentlichung von Blakes Erstlingsroman. Seit Titel ist "Pistolero" ( The Pistoleer), das Buch schildert – sozusagen ganz kriminalistische Ermittlung – das widerspruchsvolle Leben des Outlaws John Wesley Hardin aus der Sicht von 50 Personen, die ihm begegnet sind. Hardin (1853‒1895) tötete seinen ersten Mann im Alter von 13, mindestens 25, wenn nicht gar 40 Tote sollen auf sein Konto gegangen sein. Immer habe er in Notwehr gehandelt, behauptete er, der angeblich ein Pfund Blei in seinem Körper trug. Verwandte, Gesetzeshüter, Barkeeper, Prostituierte, Freunde und Feinde, die ihn kannten, erzählen seine Geschichte in vielen Vignetten. James Carlos Blake "spricht" in "Pistolero" mit vielen Stimmen. Angereichert mit Dokumenten, Zeitungsartikeln, Akten und Anekdoten, entsteht hier weit mehr als eine fiktionale Biographie, nämlich eine faszinierende Evokaton von Ort und Zeit, und eben jenen Menschen, die eine Grenze besiedelten.
Anders gesagt: Es ist, als sei man einfach zu nah dran am Geschehen, um es wirklich scharf, plastisch und differenziert sehen zu können. So rennt, schießt, schlägt, koitiert, onaniert, wütet und giert sich Blakes Brüderpaar an sein wohlverdientes und kaum überraschendes Ende: Der eine wird als Deserteur gehängt, der andere bleibt als dessen Totengräber übrig. HARALD EGGEBRECHT Der Western als Bildungsroman der besonders rüden Art James Carlos Blake: Das Böse im Blut. Aus dem Englischen von Mathias Müller. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2013. 448 Seiten, 22 Euro. DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über …mehr
Blake vollbringt dennoch die Kunst Sympathien für das getriebene Brüderpaar zu wecken, obwohl Edward und John Little, von kurzen Augenblicken der Nachdenklichkeit abgesehen, sich nahtlos ihrer gewalttätigen Umgebung anpassen. Eine harmlose Saloon-Schlägerei, wenn jemand nur ein Auge, aber nicht sein Leben verliert. Menschen werden aus nichtigen Gründen gefoltert, umgebracht und brutal hingerichtet. Es reicht ein flüchtiger Blick auf die falsche Frau, ein unpassendes Wort, ein Schritt neben dem angewiesenen Pfad. Vor allem fatal, wenn Hautfarbe oder Geschlecht nicht stimmen. Frauen und Schwarze existieren nur als Ware und/oder Sklaven und werden entsprechend behandelt. Blake fokussiert, spitzt zu, dramatisiert historisch verbürgte Ereignisse. Das gibt dem Roman seine Wucht, erzeugt aber mitunter auch ein schwer erträgliches Grauen voller graphisch expliziter Gewaltdarstellungen. Deutlich bleibt immer, dass Blake realen Geschehnissen verhaftet bleibt, sie deutet und so die Charakterstudie einer gewalttätigen Nation erstellt, deren Beschönigung des Frontier-Mythos eine reine Lüge ist, die von wirtschaftlich- und ideologischen Interessen geprägten Kriegen bis hin zum Genozid an den Ureinwohnern ablenkt.
John Wesley Hardin war ein mutiger Mann, der seine Waffe auf jene Soldaten richtete, die in den dunklen Tagen nach dem Bürgerkrieg in ganz Texas wüteten. Schon als junger Bursche hat er gegen das Unrecht gekämpft. Und als die verdammte State Police unschuldige Leute tyrannisierte, hat er ihnen da nicht die Hölle heißgemacht? Hat er sie nicht eigenhändig aus Gonzales County vertrieben? Sicher, er hat Männer umgebracht, viele Männer aber nur Männer, die versucht haben, ihn zu töten! Selbstverteidigung ist das oberste Gesetz des Lebens, das weiß jeder. Und Hardin hat nichts anderes getan, als nach diesem Gesetz zu leben. Wer würde nicht dasselbe tun, wenn er nur den Mut und die Fähigkeiten dazu hätte? So sagten die einen. Die anderen sagten, er sei von Natur aus rebellisch gewesen, ein schwarzes Schaf. Nein, schlimmer viel schlimmer. Von Grund auf böse. Ein geborener Killer. Eine gewalttätige Seele, beherrscht vom Stolz, der schlimmsten aller Todsünden. Seinen mörderischen Taten noble Absichten zu unterstellen hieße, Teufelshörnern einen Heiligenschein aufzusetzen.
Beispielsweise sind die Mädchen, Frauen und Huren, ob weiß, schwarz oder gemischt, klischeehaft attraktiv und wirken John und Edward oft genug so, als könne man sie sofort mit Matt Damon und Brad Pitt besetzen. Mag man anfangs noch gespannt sein, wie dieser Bildungsroman der besonders rüden Art sich entwickeln könnte bis in den amerikanisch-mexikanischen Krieg um Texas hinein, verliert man doch angesichts der nahezu ununterbrochenen Kette von Brutalitäten in alle Richtungen allmählich die Leselust. Der Dschungel Floridas, der Stadtzauber von New Orleans, die Weite von Texas spielen als reale Räume kaum eine Rolle. Eine Darstellung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse gibt es kaum, die blutunterlaufenen Augen von John und Edward bestimmen die trübe Sicht. Das soll alles intensivieren, kein Leser soll dem wüsten Treiben, das sich Wilder Westen nennt, entkommen können, jeder soll Rohheit und Grausamkeit gleichsam riechen, schmecken, fühlen. Noch etwas: Die Einschränkung auf das Getriebensein der Flüchtenden durch Dick und Dünn von Natur, Tier und Menschen verleiht dem Text ein Farbspektrum, das kaum über Schlammtöne, Dunstgräue, Nachtschwärze hinausreicht.
Im Herbst 1842 bricht das Unglück über die Brüder Edward und John Little herein. In Georgia ersticht der Vater der beiden Jungen einen Mann, der so unvorsichtig war, ihre Mutter zum Tanz aufzufordern. Die Familie flieht vor dem Gesetz in die Sümpfe Floridas, wo es zur Katastrophe kommt. Nach einer Bluttat, die von nun an ihre Träume beherrschen wird, brechen die Brüder nach Westen auf, um dort ihr Glück zu finden. Aber das Grenzland zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko entpuppt sich als Vorhof zur Hölle, wo Mörderbanden und blutrünstige Indianer Angst und Schrecken verbreiten. Getrieben von ihren inneren Dämonen verstricken sich Edward und John Little in ein Leben voll roher Gewalt. Doch dann werden die beiden in den Wirren des Amerikanisch-Mexikanischen Krieges getrennt und stehen sich plötzlich auf feindlichen Seiten gegenüber... Die Abenteuer von Edward und John Little sind eine grandiose Abrechnung mit dem Mythos des Wilden Westens. James Carlos Blake erweckt eine Epoche zum Leben, ohne sie zu verklären, und führt uns so vor Augen, dass Amerika auf Hass, Gewalt und Habgier gebaut ist.
Blake hat zweifellos gehörigen Zorn in sich, in seinem Romanwestern soll es keinen romantischen, gar verklärenden John-Ford-Blick geben auf raue Männer, Kämpfer, Trapper, Cowboys, schöne Farmerstöchter und verführerische Huren. Seine Brüder Little passen eher in die Schweinesuhle und in das trostlose Freudenhaus aus Clint Eastwoods "Erbarmungslos". John und Edward sind nur von materieller und sexueller Gier, von Mordlust, schierem Überlebenswillen und den bösen Geistern ihres schlechten Gewissens gejagt. Bei aller gut gemeinten Ehrlichkeit, allem Naturalismus einer Sprache, die rasch an ihre Grenzen beim Schildern der Exzesse vom Vatermord bis zum Schwesterinzest, vom fast wahllosen Töten bis zur Kopulationswut kommt, bleibt Blakes Blick auf den Westen als Orgie aus Blut, Sperma, Schmerz und Tränen letztlich allzu tief gesenkt, zu verfinstert und doch allzu spekulativ. Man ahnt schnell, dass sich dieses Brüderpaar gut auf der Leinwand machen dürfte. Die Blutspur der Little-Brothers ist bei näherem Hinsehen dann doch eher schaurig glamourös denn schonungslos kalt nacherzählt.
Im Herbst 1842 bricht das Unglück über die Brüder Edward und John Little herein. In Georgia ersticht der Vater der beiden Jungen einen Mann, der so unvorsichtig war, ihre Mutter zum Tanz aufzufordern. Die Familie flieht vor dem Gesetz in die Sümpfe Floridas, wo es zur Katastrophe kommt. Nach einer Bluttat, die von nun an ihre Träume beherrschen wird, brechen die Brüder nach Westen auf, um dort ihr Glück zu finden. Aber das Grenzland zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko entpuppt sich als Vorhof zur Hölle, wo Mörderbanden und blutrünstige Indianer Angst und Schrecken verbreiten. Getrieben von ihren inneren Dämonen verstricken sich Edward und John Little in ein Leben voll roher Gewalt. Doch dann werden die beiden in den Wirren des Amerikanisch-Mexikanischen Krieges getrennt und stehen sich plötzlich auf feindlichen Seiten gegenüber. 'Das Böse im Blut' ist eine grandiose Abrechnung mit dem Mythos des Wilden Westens. James Carlos Blake erweckt eine Epoche zum Leben, ohne sie zu verklären, und führt uns so vor Augen, dass Amerika auf Hass, Gewalt und Habgier gebaut ist.